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Rote Linien II

Rote Linien II

Tanzdiagramm – Und auch unsere roten Linien sollte man tanzen lernen

Im August 2020 habe ich an dieser Stelle drei Rote Linien beschrieben, die die AfD nach innen beachten muss, wenn sie nicht nur dem Namen nach eine Alternative bleiben will. Die mögliche Beobachtung der AfD durch den deutschen Inlandsgeheimdienst bietet nunmehr aber auch Anlaß, sich drei weiteren Roten Linien zuzuwenden, die die AfD unter diesem Druck nach außen beachten muss.

Zunächst darf die AfD nicht von außen an sie herangetragenen Forderungen nach Änderungen des eigenen Verhaltens entsprechen. Was eine Partei als gut und richtig empfindet, bleibt dies auch unter dem Druck geheimdienstlicher Beobachtung. Vor allem entscheidet eine Partei erst einmal für sich selbst, was sie als gut und richtig empfindet. Es ist daher völlig verkehrt, über jedes von außen hingehaltene Stöckchen zu springen und so gute Mitarbeiter und Inhalte preiszugeben. Auch ein Bundessprecher Meuthen wird dies spätestens dann erkennen, wenn aus der etablierten Politik Stimmen nach seiner Ablösung laut werden, weil er als „Demokrat untragbar“ sei, und die AfD mit ihm an der Spitze nicht als „demokratische Partei“ akzeptiert werden könne. Die Behauptung des Eigenen auch unter Druck stellt somit die erste der hier zu erörternden Roten Linien dar.

Eine weitere Rote Linie überschreitet aber auch derjenige, der meint, unter dem Druck geheimdienstlicher Beobachtung sei der eigene Ruf derart ruiniert, dass man nunmehr keinerlei Rücksichten mehr nehmen müsse und gänzlich ungeniert agieren könne. Es gibt nämlich durchaus beobachtungswürdige Extremisten auch Auf Seiten der politischen Rechten. Man denke nur an Neonazis (die das Tun und Denken der NS-Zeit gerne fortsetzen würden), an echte Rassisten (die von einer Höher- bzw. Minderwertigkeit menschlicher Populationen ausgehen), Antisemiten (die aber nicht nur rechter Herkunft sind), „rechtsrevolutionäre“ Gruppen, die unser parlamentarisch-demokratisches Verfassungssystem gewaltsam beseitigen wollen, oder auch einfach nur „rechte“ Gewalttäter (die oft nur durch ihre eigenen Psychosen motiviert sind). Alle diese Gruppen und Tendenzen wurden von der überwiegenden Mehrheit der AfD schon von Haus aus nicht als gut und richtig angesehen. Warum sollten sie es nun unter dem Druck geheimdienstlicher Beobachtung sein? Wer hier nun meint, der Feind seines Feindes müsse auch sein Freund sein, leistet einer berechtigten Beobachtung der AfD nur Vorschub und fügt damit der AfD schweren Schaden zu. Wenn wir uns vom politischen Gegner nicht als „Rechtsextremisten“ stigmatisieren lassen wollen, dann dürfen wir uns auch nicht wie solche verhalten!

Von noch zentralerer Bedeutung ist indes eine dritte Rote Linie, die nur scheinbar der ersten der hier erörterten Linien entspricht. Was ist, wenn evidente und für die AfD unverzichtbare Begrifflichkeiten staatlicherseits (etwa unter Berufung auf ein sich wandelndes Verfassungsverständnis) auf einmal tatsächlich für „verfassungsfeindlich“ erklärt werden?

Man denke nur einmal beispielhaft an den Begriff der „Corona-Diktatur“, die ja evident ist. Seit der Novelle des Bundesinfektionsschutzgesetzes vom 18. November 2020 können die Behörden in Deutschland durch einfache Rechtsverordnung Grundrechte von Verfassungsrang außer Kraft setzen. Juristischer Einspruch hiergegen erscheint aussichtslos: Bereits Anfang Dezember 2020 hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Fällen – soweit ersichtlich erstmals in seiner Geschichte – ein verfassungsmäßiges Grundrecht, nämlich das der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG auf Null reduziert. Die „Corona-Diktatur“ ist also evident! Nun weisen vorsichtige Staatsrechtler darauf hin, bereits der Gebrauch des Begriffs „Corona-Diktatur“ werde von den Sicherheitsbehörden als Indiz für eine mögliche Verfassungsfeindlichkeit des Verwenders gewertet. Aber das ändert ja doch nichts an der Evidenz des Sachverhalts. Eher setzen sich hier die Sicherheitsbehörden dem Verdacht aus, selber im Auftrage eines (corona-)diktatorischen Systems zu agieren. Doch wie soll die AfD angesichts dessen auf eine derartige Herausforderung reagieren?

Im Grunde kann hier nichts anderes gelten als bei der ersten hier erwähnten Roten Linie. Was erklärtermaßen als gut und richtig empfunden wird, bleibt auch unter dem Druck einer ja möglicherweise selber rechtswidrigen Stigmatisierung. Die AfD müsste hier also an entsprechenden Begrifflichkeiten festhalten und deren Verwendung indirekt durch Klagen gegen die geheimdienstliche Beobachtung für verfassungsmäßig vertretbar erklären lassen. Sollten derartige Klagen aber scheitern, so wäre damit die Verwendung derartiger Begrifflichkeiten im übrigen immer noch nicht verboten. Sie könnte nunmehr lediglich zulässigerweise als Indiz für verfassungsfeindliche Bestrebungen gewertet werden, bliebe darüber hinaus aber weiter durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG geschützt. Für die AfD würde sich in einer derartigen Situation abermals die Frage stellen, wie man sich nun verhalten solle, wobei es hier sicher mehrere mögliche Handlungsvarianten gäbe.

Sich angesichts dessen von vornherein darauf festzulegen, im Falle einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht auf politische Begrifflichkeiten zu verzichten, die als Indiz für was auch immer gewertet werden könnten, wie dies der AfD-Bundesvorstand mit seinem Grundsatzbeschluss vom 27. November 2020 getan hat, kommt einer „vorbeugenden Unterwerfung“ gleich. Wer auch immer diesen Beschluss zu verantworten hat, er hat die Handlungsoptionen der AfD eingeschränkt und der Partei damit einen Bärendienst erwiesen.

Dr. Matthias Bath

 

Dieser und weitere Beiträge erschienen in der TREND-Printausgabe März + April 2021. Sie können das Printmagazin bei Staatsreparatur, Jungfernstieg 4 B, 12207 Berlin-Lichterfelde beziehen oder unter der Telefonnummer 030844155610 bestellen.

Über den Autor

Matthias Bath

Dr. Matthias Bath, geboren 1956, war Fluchthelfer und DDR-Häftling. Nach einem Häftlingsaustausch studierte er an der FU Berlin, promovierte zum Dr. jur. und arbeitete als Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Berlin.