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Öffentliche Daseinsfürsorge in öffentlicher Hand

Öffentliche Daseinsfürsorge in öffentlicher Hand
Symbolbild: Unser Strom in uns‘rer Hand – Wird der Linkssenat Vattenfall noch zittern lassen, bis sich der Kaufpreis des Stromnetzes der Realität angepaßt hat? (holdosi via Pixabay)

Das Angebot des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, das Berliner Stromnetz an das Land Berlin zurück zu verkaufen, hat der Diskussion über die Rekommunalisierung wesentlicher Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge neuen Auftrieb gegeben. Dabei handelt es sich zunächst um die Herstellung lebensnotwendiger Güter wie Wasser und Energie, aber auch um unverzichtbare Dienstleistungen wie Entwässerung, Müllabfuhr, Straßenreinigung und Nahverkehrsunternehmen. In einem überkommunalen Sinne wäre hier auch an wichtige Bereiche der staatlichen Infrastruktur wie Post, Bahn und Telekommunikation zu denken.

Diese Frage ist nur scheinbar ein linkes Thema. Entschlackt man die Diskussion von ideologischen Überformungen und führt sie auf ihren Kern zurück, erweist sich gerade in Zeiten der Globalisierung die Rückführung der öffentlichen Daseinsvorsorge dienenden Infrastruktur in die öffentliche Hand als ein dem Gemeinwohl dienendes Anliegen. Dies zeigt auch schon ein Blick in die Geschichte.

Der preußische Staat des 19. Jahrhunderts neigte – sei es aus Sparsamkeitserwägungen oder aus tat- sächlichem Geldmangel – dazu, alle technischen Innovationen auch im Bereich öffentlicher Daseinsvorsorge zunächst privaten Investoren anzuvertrauen. So erhielt 1825 eine englische Gesellschaft das Recht, in Berlin ein Gaswerk zu errichten, in bestimmten Straßen ein Rohrnetz zu verlegen und dort die Straßenbeleuchtung mit Gas zu betreiben. Die ersten deutschen Bahnen ab 1835 waren durchweg auf der Grundlage staatlicher Genehmigungen tätige, börsennotierte Aktiengesellschaften rein privater Investoren. Die staatlichen Erwartungen an die Privatinvestoren erfüllten sich jedoch durchweg nicht. Weder waren diese zu Versorgungsleistungen in der Fläche oder auch zu einer für die Allgemeinheit bezahlbaren Preisgestaltung bereit. In Berlin entstanden angesichts dessen 1846 die ersten beiden städtischen Gaswerke. Ab 1844 begann auch der Erwerb der Privatbahnen durch die einzelnen deutschen Staaten, und es entstanden bis 1880 die staatlichen deutschen Länderbahnen. 1851 wurde in Berlin die bis dahin private Straßenreinigung der neugeschaffenen staatlichen Berliner Feuerwehr übertragen.

Allerdings schloß der preußische Staat noch 1852 mit englischen Investoren einen Vertrag über die Errichtung eines ersten Berliner Wasserwerks. Die Investoren verpflichteten sich, ab 1856 für die regelmäßige kostenlose Spülung der Rinnsteine, der Straßen und die Anlage eines Leitungsnetzes für Löschwasser der Feuerwehr zu sorgen. Im Gegenzug durften sie mit einem eigenen Rohrnetz von zunächst 114 Kilometern Länge Wasser gegen Rechnung an Privatkunden liefern. Auch die Anfänge der Berliner Stromversorgung gingen 1884 auf eine privatwirtschaftliche Gründung zurück, die 1915 von der Stadt Berlin übernommen wurde. Die Berliner Wasserversorgung war da schon seit 41 Jahren in kommunaler Hand.

In der Zeit vor 100 Jahren waren schließlich alle lebensnotwendigen Versorgungsunternehmen kommunalisiert. Es entstanden große öffentliche Versorgungsunternehmen wie etwa GASAG, BEWAG, BVG und die Berliner Wasserwerke. Diese beispielhafte Struktur städtischer Eigenbetriebe überdauerte unbeschadet den Zweiten Weltkrieg und die Teilung Berlins, letztere verbunden auch mit ihrer jeweiligen eigenen Teilung. 1990/91 wurden die städtischen Versorgungsbetriebe aus Ost und West wieder zusammengeführt. Gleichwohl befinden sich von ihnen heute nur noch wenige in städtischem Besitz. Eine neoliberale, verfehlte Fiskalpolitik hat in den neunziger Jahren viele dieser der öffentlichen Daseinsvorsorge dienenden Unternehmen wie etwa die GASAG und die BEWAG zur Minderung des Berliner Haushaltsdefizits verkauft und damit aus der öffentlichen Hand gegeben. Immerhin konnten die Wasserwerke nach einem entsprechenden Volksentscheid 2013 von Berlin wieder zurückgekauft werden.

Gerade dieses Beispiel zeigt aber die politische Dimension der Frage, in wessen Besitz lebensnotwendige Güter sein sollten. Wasser benötigt jeder zum Überleben und wahrscheinlich war dies auch der Anlass zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Privatisierung. Vor 100 Jahren hatte man nach den negativen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit privaten Projekten dieser Art eine kompromisslose Kommunalisierung dieser lebensnotwendigen Dienste realisiert, schon um sie vor missbräuchlicher Kommerzialisierung durch private Betreiber zu schützen. In den neunziger Jahren hatte sich die Vorstellung von der Rolle des Staates und der Städte abermals ins Gegenteil verkehrt. Man setzte erneut darauf, dass private Unternehmen die kommunalen Dienstleistungen effektiver und damit preisgünstiger erfüllen könnten. Damit war man aber nicht nur im Denken des 19. Jahrhunderts angelangt, sondern auch die damit verbundene Erwartung hat sich abermals nicht erfüllt.

Ein Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung scheiterte 2013 nur knapp an einer zu geringen Beteiligung. Dass sich nun der schwedische Energiekonzern Vattenfall von dem Berliner Stromnetz zurückziehen will, läßt hoffen. Zwar muß das Land Berlin – und damit wir alle als Gemeinschaft der Steuerzahler – teuer zurückkaufen, was vor 25 Jahren wohlfeil verscherbelt wurde, aber die eigene Verfügungsgewalt über unsere eigene Infrastruktur sollte uns diesen Preis wohl wert sein! Gerade in Zeiten der Globalisierung muß die der lebensnotwendigen Versorgung dienende Infrastruktur wieder in die öffentliche Hand zurückgeführt werden, um sie missbräuchlicher Kommerzialisierung zu entziehen und die kostengünstige Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten! Das sollte auch ein soziales Anliegen für jeden Patrioten sein!

Dr. Matthias Bath

Dieser und weitere Beiträge erschienen in der TREND-Weihnachtsausgabe 2021. Sie können das Printmagazin bei Staatsreparatur, Jungfernstieg 4 B, 12207 Berlin-Lichterfelde beziehen oder unter der Telefonnummer 030844155610 bestellen.

Über den Autor

Matthias Bath

Dr. Matthias Bath, geboren 1956, war Fluchthelfer und DDR-Häftling. Nach einem Häftlingsaustausch studierte er an der FU Berlin, promovierte zum Dr. jur. und arbeitete als Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Berlin.